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Survival
Die Psychologie des Überlebens
Teil 1 – Einführung
In dieser Serie von Artikeln befassen wir uns mit der Psychologie des Überlebens. Bevor wir jedoch in die Materie eintauchen, bitte ich dich um folgendes: Vergiss für einen Moment alles, was du bisher zum Thema Survival gelernt hast.
Der Grund dafür sind die zahllosen Mythen rund um das Thema Überleben, die sich im laufe der letzten Jahre etabliert haben: Die meisten von uns werden schon mal irgendwie in Kontakt mit der Thematik Survival gekommen sein – ob über Instagram, YouTube oder teils veralteten Büchern, sei dahin gestellt.
Das Maß an Fehlinformationen in Bezug auf Überlebenstechniken nimmt in der heutigen Zeit gleichermaßen stetig wie rasant zu. Fehlinformationen führen dann auch zu falschem Verhalten, und falsches Verhalten wiederum gefährdet dich in einer Notsituation. Aus genau diesem Grund möchte ich in Bezug auf dieses doch sehr ernste und komplexe Thema bei Null starten.
Bereit? Dann mal los!
Was ist Survival
Um die Psychologie des Überlebens zu verstehen, müssen wir zunächst mal klar und deutlich definieren, was „Survival“ wirklich bedeutet und was nicht. Ich hantiere dazu die Definition des Oxford Dictionary: „Survival“ ist das Fortsetzen des eigenen Lebens/der eigenen Existenz trotz eines Unfalls, Martyriums oder anderweitig schwierigen Umständen. Die Betonung liegt hier auf dem „trotz“ und dem nachfolgenden Nebensatz:
Damit eine „normale“ Situation zu einer Überlebenssituation werden kann, erfordert diese zwingend das Eintreten eines Notfalls bzw. einer Einschränkung, welche dein Weiterleben signifikant erschweren und/oder behindern. Mit anderen Worten: Es muss eine (lebens)bedrohliche Situation vorliegen.
Es ist ungeheuerlich wichtig diese Tatsache zu verinnerlichen, denn: In der heutigen Zeit wird der Begriff „Survival“ inflationär genutzt. So kommt es bspw. vor, dass Content Creators auf YouTube oder Instagram den Eindruck vermitteln, es sei „Survival„, wenn man 24 Stunden ohne Ausrüstung in den Wald am Dorfrand geht, nur um am nächsten Morgen den Heimweg anzutreten und nach einer wohltuenden Dusche die Tiefkühlpizza in den Ofen zu schrieben und sich auf die Couch zu schwingen.
Derartiges Verhalten kultiviert die grundlegend falsche Auffassung, dass „Survival“ irgendwas mit einer Art Freizeitspaß oder gar einem Hobby zu tun haben könnte. Nichts liegt ferner abseits der Wahrheit.
Survivaltraining
Auch Survivaltrainings sind kein (!) Survival. Ungeachtet aller Vorzüge, die Survivaltrainings mit sich bringen: Die Erlernen von Überlebenstechniken in einem kontrollierten, begleiteten und sicheren Umfeld steht fernab von allen wirklichen Notsituationen.
Selbst das schwierigste Trainingsmodul kann Stress- und Notsituationen nur simulieren- ein Beispiel:
So kann man beispielsweise einen Arm abbinden um zu trainieren, wie es sich einhändig in der Natur überleben lässt. Der Arm ist de facto aber nicht gebrochen, man fühlt keinen Schmerzreiz und kämpft nicht gegen eine tatsächliche Einschränkung unter Qualen und Stress an.
Emotionen kennen = richtig reagieren
Damit sind wir bei einem der Kernpunkte der Überlebenspsychologie angelangt: Emotionen. Jede Gefahrensituation und Bedrohung führt zwangsweise zu einer emotionalen Belastung.
So kann es beispielsweise sein, dass ein Abenteurer mit seinem Kajak kentert, sich schwer an einem Bein verletzt und gegen sein körperliches Schmerzempfinden zu kämpfen hat.
Ein anderer Outdoorsportler könnte dagegen beim Trekking von seinem Weg abkommen und daraufhin mehrere Tage von seinen sozialen Kontakten abgeschnitten sein. Möglicherweise erfährt er Einsamkeit und Langeweile, welche ihm seinen Überlebenswillen rauben können.
Ein Opfer einer Geiselnahme dagegen würde eher Angstzustände und Panikattacken durchstehen müssen.
Mit anderen Worten: Jede Überlebenssituation gestaltet sich anders. Genau deshalb ist es so wichtig, sich langsam an die jeweiligen, eigenen Empfindungen heran zu tasten und sich selbst besser kennenzulernen. Denn nicht alle Menschen reagieren in der gleichen Krisensituation auf dieselbe Art und Weise.
Wir werden in den kommenden Artikeln tiefer in die Bewältigung diverser Reaktionen und Emotionen eintauchen. Für den Moment ist für dich nur wichtig zu verstehen, dass auch du durch dein eigenes Empfinden und Fühlen überwältigt werden kannst.
Die zentrale Frage & das zentrale Konzept beim Überleben
Die zentrale Frage beim Überleben ist also immer folgende: Kann ich einer Gefahrensituation mit realistischem Optimismus und mit gesundem Selbstvertrauen begegnen? Oder überwältigt mich das Erlebte, gebe ich auf und scheide ich dahin?
Diesen realistischen Optimismus gilt es zu entwickeln und zu pflegen. Ein Wundermittel dafür gibt es jedoch nicht: Jeder Mensch ist anders und muss sich darum zwangsweise mit seinen persönlichen Schwächen und seiner eigenen Psyche auseinander setzen. Am Ende des Artikels möchte ich dir mittels einer Übung dabei helfen, dich selbst besser zu verstehen.
Survivalkurs
Zuvor bitte ich dich aber um folgendes: Solltest du es in Erwägung ziehen bei einem Survival-Mentor einen Survivalkurs zu buchen, prüfe dann in jedem Fall ob dieser Mentor imstande ist dich nicht nur fachlich zu beraten, sondern auch auf ehrliche Weise.
Ein guter Survivaltrainer kennt seine eigenen Schwächen und scheut nicht davor zurück diese klar und deutlich anzusprechen. Ich persönlich verweise auch mal Interessenten an meinen Kursen an andere Mentoren, fühle ich mich auf einem bestimmten Fachgebiet (bspw. Pilzsachverständnis) nicht qualifiziert genug. Am Ende geht es nämlich um deine Gesundheit und dein Leben.
Zeit für Hausaufgaben
Wie am Anfang erwähnt, beginnen wir bei Null. Das heißt, dass wir uns nun deiner eigenen, persönlichen Psyche widmen. Ich bitte dich darum einen Stift und ein Blatt Papier zu holen. Alternativ kannst du ein Textdokument auf deinem Computer oder Tablet öffnen. Bitte notiere dir in diesem die folgenden Fragen:
1. Wovor habe ich Angst?
2. Was verursacht mir Stress?
3. Neige ich zum Verkennen und Verleugnen von Problemen? Wenn ja: Welche Probleme sind das?
4. Was fühle ich in Situationen, in denen ich scheitere?
5. Was fühle ich, wenn ich einsam und von anderen isoliert bin?
6. Welche Fähigkeiten habe ich? Und welche nicht?
Bitte nimm dir in der kommenden Woche jeden Tag ein paar Minuten Zeit, um diese Fragen für dich zu beantworten. Schreib alle Gedanken auf, egal wie unwichtig sie dir in dem Moment erscheinen.
Es gibt auch keine „falschen“ Antworten. All deine Notizen helfen dir, sonst unbewusste Mechanismen deiner Psyche bzw. deiner Gefühlswelt ins Bewusstsein zu rufen.
Mit dieser Übung erstellst du ein psychologisches Profil von dir selbst. Dieses hilft dir dabei, dich besser zu verstehen. Bewahre deine Aufzeichnungen gut, denn du brauchst diese für die nachfolgenden Artikel. In diesen werden wir uns dann im Detail mit diversen Konzepten befassen, welche sich in deinen Antworten wiederspiegeln werden.
Ralf Pintzka
Bushcraft- und Survival-Mentor
Ralf Pintzka ist Gründer der Naturschule RATHWULVEN BUSHCRAFT und arbeitet als selbstständiger Bushcraft- und Survival-Mentor. Als Mitbegründer der Bushcraft- und Survival-Lernplattform fördert Ralf Neulinge in der Szene. Seine Mission: Menschen wieder mit der Natur zu vereinen und ihnen zur Eigenständigkeit in der Wildnis zu verhelfen – und das auf nachhaltige und verantwortungsbewusste Weise. Daneben fungiert Ralf als Produktentwickler und Berater für Firmen wie Jack Wolfskin, Mivall, und mehr. Er ist Autor eines eigenen Blogs sowie Gastautor auf fachspezifischen Blogs wie dem von Jack Wolfskin.